Süddeutsche Zeitung Nr. 47 Sa/So 26.2.2005

Peter Wiegand und Band im Lohhofer Gleis 1
Ein österreichischer Bruder von Tom Waits
Der Sänger und Schauspieler aus Rosenheim gibt den Charakteren des Originals neue Gestalt. Wäre Tom Waits ein Europäer, er wäre wohl ein Österreicher. Jedenfalls kann man sich dessen mit unvergleichlicher Whisky-Stimme hingerotzten Moritaten über das Strandgut der menschlichen Gesellschaft außer auf Englisch am ehesten auf Wienerisch vorstellen. In dem Idiom, in dem Kieberer, Patschacken, Peitscherlbubn oder Dschuschn ähnlich subkulturell durch Literaten, Kabarettisten und Sängern von Qualtinger bis Hader zum Leben erweckt wurden. Das erkannte vor einiger Zeit schon Wolfgang Ambros und feierte mit seiner stark geglätteten Ösi-Version der Waits’schen Kneipengesänge einen größeren Erfolg als zuletzt mit eigenen Sachen. Ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem blieb bei dieser Annäherung von oben freilich im Raum. Anders sieht das bei einem weniger berühmten – inzwischen in Rosenheim lebenden – Landsmann aus, der sich am Donnerstag mit einem eigenen und eigenwilligen Waits-Programm im Lohhofer "Gleis 1" vorstellte.
Peter Wiegand ist bei Pflegeeltern, im Jugendgefängnis und im Heim für schwer Erziehbare aufgewachsen. Danach ließ er sich als Hobo und Gelegenheitsarbeiter durch die Welt treiben. Erst als er begann, seine Lebenserfahrungen künstlerisch umzusetzen, wendete sich das Blatt. Der spät Berufene schreibt seitdem eigene "Geschichten aus dem Millieu", interpretiert die Fünfziger-Jahre-Klassiker des Wiener Kabaretts, wirkt am musikalischen Dramolett "Wien ist nicht Tschikago" mit, liest Thomas Bernhard und – singt Tom Waits.
Und das muss man einfach gesehen haben, wie Wiegand mit seinem vom Leben gezeichneten Gesicht (ein schöner Kontrast zum weißen Entertainer-Sakko) sich wie Waits windet, zum Einstieg ein kehliges "Wow, I found you!" in den Saal röhrt und dann mit Schmäh, Charme und einem Hauch Ludwig Hirsch in diverse Verliererrollen schlüpft. Überzeugend wie kaum ein anderer Waits-Interpret nimmt er sich in erster Linie die frühen, melancholischen Balladen von "Rain Dogs" bis zum "Cold, Cold Ground" vor und kostet die abgründigen und schrägen Untertöne mal auf Englisch wie in überzeugenden Übertragungen (aus "Romeo’s Bleeding" etwa wird "Der Joschi is am Bluatn") voll aus.

Unvergleichliche Whiskystimme und hingerotzte Moritaten: Peter Wiegand


So nahe Wiegand der Stimme des Originals ist, er bemüht sich auch um ein eigenes Timbre und streut ein, zwei eigene Songs (so das böse "Wenn der Opernball tanzt") und eine Qualtinger-Nummer passend ein.
Wiegands wohl kurzfristig zusammengestellte, aber nach kurzer Einspielzeit überzeugende Band hält sich hingegen eher an die experimentellere Richtung des späten Tom Waits. Georg Karger an E-Bass und -Cello, Harald Kümpfel an den Drums und Florian Weber an der Gitarre.